VON BRIGITTE PREISSLER
Wo liegt Waldsee? Ágnes Eperjesi machte sich auf die Suche nach einem Ferienort in Österreich. Auf keiner Karte war er verzeichnet; bei Salzburg fand sie zwar das Kaff Wallsee, aber erst in Deutschland ein Bad Waldsee und eine winzige Siedlung namens Waldsee. Eine Ausstellung im Centrum Hungariculn widmet sich derzeit jenem Ort Waldsee, an den der Schriftsteller Imre Kertesz 1944 gebracht zu werden glaubte: „Wenn ich Durst hatte, wenn mir heig war, verschaffte allein schon das Versprechen, das in diesem Wort lag, sofortige Erleichterung.” Doch der Name, der ein Naturidyll zu verheigen scheint, offenbart gerade durch seinen Wohlklang den Zynismus derer, die ihn benutzten: Waldsee ist Auschwitz.
Angehörige deportierter ungarischer Juden erhielten im Sonimer 1944 Postkarten, angeblich aus dem österreichisclien Kurort Waldsee. Darauf standen Sátze wie: „Uns geht’s gut. Kommt nach!” oder „Wir sind gut angekommen. Ich habe eine Arbeit in meinem Beruf bekommen.” SS-Wachleute hatten sie den Absendern zur Beschwichtigung ihrer Angehörigen diktiert. Als die Karten ankamen, waren viele der Verschleppten löngst tot.
Der Budapester Galerist László Böröcz bat fünfzig ungarische und internationale Künstier um „Antworten” auf die Waldsee-Postkarten. Jedes Bild hat das gleiche Format wie die Originale, die im Jüdischen Museum in Budapest archiviert sind. Eric Guzman zeichnete ein rotes Trűnenmosaik; aus Rajk Laszlos Karte lasst sich ein Krematorium falten, das am Ufer eines lieblichen Teichs liegt. Ágnes Eperjesi hielt ihre Suche nach dem realen Waldsee fest: unter den Fotos der Ortsschilder, die sie bei ihrer Reise-aufnahm, zeigt sie nackte Unterarme, auf die die „Poststempel” der Stadte tatowiert scheinen wie Haftlingsnummern in Auschwitz.
öber die Künstler wird so wenig erzahlt wie über die Kriterien ihrer Auswahl. Auch zu den Hintergründen jener Postkartenaktion der SS bleiben Fragen offen. Wer befahl die Massnahme? Wurden alle Schreibenden durch Gewaltandrohung gezwungen, oder hat man sie selbst getáuscht? Als „Ort der Information” bleibt die Schau also sehr unvollkommen. Indem sie in vielfzltigen, persönlichen Ikonen an jene Táuschung erinnert, isi sie gleichwohl ein wichtiges Mahnmal.
Collegium Hungaricum/Ungarisches Kulturinstitut, Kari-Liebknecht-Str. 9, bis 3. 7., Mo-Fr 9-22, Sa+So 15-22 Uhr.