Nerven aus Draht
Die Galerie 2B zeigt die Werkgruppe „Hirn/Agy” des ungarisch-deutschen Künstlers Botond. Auf Plastiken und Grafiken erkundet dieser das menschliche Gehirn und versucht sich an der Verortung der Seele.
Zum Schmücken der Wohnzimmerwand eignet sich eine geöffnete Schädeldecke nur bedingt. Genau diese, gefertigt auf einer alten LKW-Plane, erwartet den Besucher in der Einzelausstellung „BOTOND: Hirn/Agy” in der Galerie 2B. Im Zentrum der Schau steht das menschliche Gehirn. Dessen Anatomie, ein Forschungsfeld ähnlich mysteriös wie das Universum, bildet den Startpunkt für die Arbeiten des im südungarischen Pécs geborenen Botond Kardos. „Derzeit läuft gerade die letzte natur- und geisteswissenschaftliche ´Attacke` auf das menschliche Hirn. Man investiert Riesensummen, um sein Geheimnis zu enträtseln”, erklärt János Kurdy-Fehér, der Kurator und ein guter Freund des 2010 verstorbenen Botond. Die Werkgruppe, eine von insgesamt 20, entstand von 2007 bis 2008. Einem Computertomographen gleich seziert Botond zunächst von allen Seiten das Innenleben des menschlichen Schädels, so entstanden abstrakte Zeichnungen und Ölmalereien. Darauf winden sich blutrot leuchtende Energiestränge um den Hirnstamm. Auf seinen Holzkohlezeichnungen umkreisen Neuronenbahnen zu Tausenden zielsuchend das Nicht-Fassbare und verdichten sich zu Kraftfeldern. Auf der LKW-Plane durchtrennte Botond in Gedanken die weiche, zarte Pia Mater, die innerste Schicht der Hirnhäute. Darunter glitzert das freiliegende Gehirn.
Während sich seine Bilder auf Papier der Anatomie widmen, nähern sich die nackten Physiognomien im Eingangsraum der Galerie dem Ergebnis dieser Hirnleistung an: In der Mitte des Raumes bewundert der Besucher einen fertigen Menschen kurz vor der Geburt, zusammengehalten mit Drähten, die wie verästelten Nervenbahnen anmuten. Für die Figuren nähte Botond Flicken durchscheinender Polyethylenfolie aneinander, klebte oder verschweißte sie. An den Ausstellungsstücken fehlen die Erläuterungen, zwei Informationstafeln auf Englisch und Ungarisch nennen Wissenswertes zum Künstler. „Grund für die einheitliche Bezeichnung ist, dass sich Botonds Arbeiten sowohl inhaltlich als auch formal netzwerkartig aufbauen”, erklärt Kurdy-Fehér. Zusammen mit Botonds Witwe Lioba Pilgram, die den Nachlass verwaltet, organisiert er die Ausstellungen. Zu sehen ist ebenfalls Filmmaterial von 1989: ein halbstündiger Film über eine von Botonds zahlreichen Performances namens „232 C°”, die er in Nürnberg als direkten Protest gegen die Bücherverbrennungen der Nazis und gegen jede Art von Rassismus begann. „Heute, da wir in Ungarn einen starken Zuwachs von Diskriminierung und Hass erleben müssen, ist diese Aktion leider nach wie vor aktuell”.
Keinem Genre zuzuordnen
Botond studierte von 1969 bis 1975 an einer Kunst- und Designhochschule in Budapest. Bis zu seinem Umzug nach Deutschland 1979 arbeitete er als Goldschmied und freischaffender Künstler. Zwischenzeitlich lehrte er als Gastdozent unter anderem an der Ungarischen Universität der Bildenden Kunst. Nach der Wende zeigten mehrere Ausstellungen in Budapest seine Arbeiten, wie 1990 in der Kunsthalle, 2003 in der Oktogon Galerie oder in MODEM 2012. Er hinterließ Skulpturen, Zeichnungen, Malereien, Installationen und Fotografien, viele mit kritischen Anspielungen und humoristischen Details unter Verwendung von Stahl, LKW-Planen, Bronze oder Drähten. Sie entziehen sich der Zuordnung zu einer Schule. Botond nahm nach 1990 an verschiedenen Aktionen mit ungarischen Autoren und Künstlern teil, so wurden im öffentlichen Raum des West-End City Centers zwei Skulpturen von ihm aufgestellt.
Den Besucher erwartet eine Erkundungstour des menschlichen Innenlebens mit künstlerischen Mitteln, auf der deutlich wird: „Die Lösung liegt nicht im exakten Bauplan, sondern im positiven und kritischen Zusammenleben, in der Kultur, die sich aus den lebendigen Einzelwesen zusammensetzt”, so Kurdy-Fehér. Denn obwohl Botond akribisch danach sucht: Wo unser Ich entsteht, das sieht er nicht.
Janina Rottmann
14-18. 04. 2013.